Die fünfjährige Sophie hat vor ein paar Wochen zum Geburtstag einen Puppenwagen bekommen. Zum Spazierengehen will sie ihn diesmal wieder unbedingt mitnehmen. In der Vergangenheit hatte Sophie dabei nicht sehr viel Durchhaltevermögen. Die Mutter plant mindestens eine Stunde unterwegs zu sein und hat Bedenken, ob die Tochter den Puppenwagen wirklich so lange schieben will.
Sie sagt zu Sophie: „Ich befürchte, dass du den Wagen nicht die ganze Zeit schieben willst. Wenn ich das für dich mache, bekomme ich immer Rückenschmerzen.“
Sie kündigt Sophie keine Konsequenzen an, sollte der Fall eintreten, dass die Tochter das Schieben delegieren will. So hat die Mutter auch nicht das Problem inkonsequent zu sein, sollte sie ihre Meinung ändern.
Sophie ist sich sicher, dass sie den Wagen diesmal die ganze Zeit allein schieben will und nimmt ihn mit.
Wie von der Mutter vorhergesehen, will Sophie den Wagen nach zehn Minuten nicht mehr schieben. Sie möchte ohne Behinderung rennen und auf einem Bein hüpfen üben. Die Fünfjährige will die Mutter dazu bringen, das Schieben doch zu übernehmen.
Die Mutter hat Verständnis dafür, dass die Fünfjährige sich überschätzt hat, was das Schieben des Puppenwagens angeht. Sie weiß, wie sehr sich Sophie über das Geburtstagsgeschenk gefreut hat und dass sie mit dem Wagen in der Wohnung oft spielt. Sophie denkt, dass die Puppe auch gerne mal spazieren gehen möchte, deswegen will sie sie ab und zu mitnehmen, auch wenn ihr der Wagen nach einer Weile lästig wird.
Die Mutter sagt zu Sophie: „Du möchtest den Wagen nicht mehr schieben, (aktiv Zuhören) und ich bekomme immer Rückenschmerzen, wenn ich das für dich übernehme. (Ich-Botschaft) Sophie: „Ich will aber auf einem Bein hüpfen üben, da stört mich der Puppenwagen.“ Mutter: „Der Puppenwagen ist dir dabei im Weg (aktiv Zuhören), und ich will ihn auch nicht schieben, das bekommt mir nicht.“ (Ich-Botschaft) Sophie: „Ach Mama, bitte schieb du ihn doch ausnahmsweise!“ Mutter: „ Du hoffst, du kannst mich überreden (aktiv Zuhören), und ich will den Wagen wirklich nicht schieben.“ (Ich-Botschaft)
Die Mutter praktiziert das so genannte Umschalten. Sie hört Sophies Botschaften und Beweggründen aktiv zu (wiederholt, was sie verstanden hat) und positioniert sich dann wieder mit ihrem eigenen Bedürfnis. (Ich-Botschaft)
Sie manipuliert Sophie nicht, indem sie ihr Angst macht („Der Wagen könnte weg sein.“) und übt auch sonst keinen Druck aus. Sie sagt nicht: „Du wolltest den Wagen mitnehmen, nun musst du ihn auch schieben.“ (Vorwurf machen + Anweisung/Befehl = Kommunikationssperren) Sie positioniert sich nur wiederholt mit ihrem Bedürfnis, das Schieben nicht zu übernehmen und nennt ihren Grund.
Die Mutter ist sich darüber im Klaren, dass es sich um ein Problem der Tochter handelt, wenn diese den Wagen mitnehmen wollte und ihn nun hinderlich findet. Die Mutter verzichtet auf alle Kommunikationssperren, die die Lösungsfindung nur erschweren und die Beziehung der beiden belasten würden. Sie gibt der Tochter keinen Rat, den diese vehement ablehnen könnte. Sie macht ihr keine Vorwürfe, weil sie die falsche Entscheidung getroffen hat. Sie droht Sophie nicht mit Konsequenzen.
Die Mutter beschränkt sich darauf, ihr eigenes Bedürfnis verständlich mitzuteilen. Sie überlässt die Suche nach der Lösung des Problems ihrer Tochter:
Mutter: „Was machen wir denn jetzt?“
Sophie: „Na, dann übe ich eben hier ein Bisschen hüpfen. Und dann renne ich mal bis an die Ecke. Kannst du solange auf den Wagen aufpassen?“
Mutter: „Ja, das mache ich gerne.“
Sophie: „Können wir dann wieder nach Hause gehen? Ich will den Wagen nicht mehr lange schieben müssen.“
Mutter: „Ich will noch am Briefkasten vorbeigehen, dann bin ich damit einverstanden, nach Hause zu gehen.“
Die Mutter entscheidet sich, den Spaziergang zu verkürzen, weil sie versteht, dass die Fünfjährige sich mit dem Puppenwagen nicht so bewegen kann, wie sie gerne möchte.
Sophie: „Vielleicht lasse ich den Wagen nächstes Mal lieber zu Hause.“
Die Mutter sagt nicht, dass sie es auch besser fände, wenn der Puppenwagen das nächste Mal zu Hause bliebe. Sie bewertet den Vorschlag ihrer Tochter nicht, sondern überlässt die Einschätzung ihr. Immerhin kann es sein, dass Sophie den Puppenwagen beim nächsten Mal doch wieder mitnehmen will, weil ihr die Puppe leid tut, wenn sie sie zu Hause lässt.
Sollte das passieren, wird sich auch dann wieder eine Lösung finden, ohne dass Machtkämpfe ausgetragen werden.